LightReader

Chapter 2 - Oliwia

Oliwia stand vor dem alten, schmiedeeisernen Tor des Friedhofs. Ein kalter Wind wehte durch die kahlen Äste der Bäume, während dunkle Wolken den Himmel bedeckten. Sie zog ihren Mantel enger um sich und atmete tief durch.

Ihre Ur-Ur-Großmutter, Helena, war 102 Jahre alt geworden – eine Frau, die den Krieg, den Hunger und den Wandel der Zeiten überlebt hatte. Oliwia hatte sie nur selten gesehen, doch ihre Mutter hatte oft Geschichten über sie erzählt: wie sie einst als junges Mädchen durch die Felder Polens gelaufen war, wie sie später eine Familie gegründet hatte, wie sie bis zuletzt nie ihre Heimat vergessen hatte.

Langsam betrat Oliwia den Friedhof. Familienmitglieder, die sie lange nicht mehr gesehen hatte, standen in kleinen Gruppen beisammen. Die Gesichter waren ernst, manche Augen gerötet. Ein Priester sprach leise Worte, während der Sarg gesenkt wurde.

Oliwia spürte eine seltsame Mischung aus Trauer und Ehrfurcht. Sie hatte nie viel über ihre Wurzeln nachgedacht, aber jetzt, in diesem Moment, fühlte sie sich ihnen plötzlich so nah wie nie zuvor.

Als eine ältere Tante ihr eine kleine, vergilbte Fotografie in die Hand drückte, hielt sie den Atem an. Es war ein Bild von Helena – jung, lächelnd, mit funkelnden Augen. Darunter stand in verblasster Schrift geschrieben: "Vergiss nie, wo du herkommst."

Oliwia wusste, dass sie diese Worte nie vergessen würde.

More Chapters